Ostern, die Melodie des Lebens
„Gott hat am Ostermorgen den Tod besiegt und dem Leben endgültig zum Durchbruch verholfen.“ Das feiern wir Christen an Ostern. Aber, Hand aufs Herz: widerspricht das nicht allem, was der Verstand zu ergründen weiß? Diese Welt ist doch ein riesiges Biotop an Vergänglichkeit, mit Leben zerstörenden Dynamiken, ewigem Abschiednehmen und leidvollen Ereignissen. Der Karfreitag hat es einfacher. Da wird erzählt, wie der unschuldige Jesus, festgenommen, verhöhnt, verurteilt und am Ende grausam ermordet wird. So wie es Oppositionelle, Journalisten oder Frauenrechtlerinnen in Diktaturen bis heute erleiden. Ob Dietrich Bonhoeffer, Alexej Navalni oder Mahsa Amini, sie und viele andere verbindet, dass ihnen das Leben, genauso wie Jesus, von anderen genommen wurde. Dieses Leid ist real, es ist Unrecht und es erzeugt mit gutem Grund starke Reaktionen: Ohnmachtsgefühle, Tränen, Entsetzten und Widerstand.
Dagegen scheint Ostern, mit seiner Hoffnungs-Melodie vom unbändigen Leben, schnell in die Kategorie eines psychologisch erklärbaren Wunschgebildes zu rutschen. Oft genug belächelt und denkerisch für überwunden erklärt. Liest man die biblischen Osterberichte, so fällt auf, dass es sich durchweg um Begegnungsgeschichten mit dem Auferstandenen handelt. Also gerade keine theoretischen Abhandlungen oder frommen Appelle. Eher Klanggebilde, die wie eine Komposition, neue Töne erkennen lassen, die berühren und weiterwirken.
Da ist zum Beispiel Maria von Magdala. Ihr schenkt der Auferstandene, das erste österliche Gespräch. Jesus, den sie zunächst für den Gärtner hält, hört ihr zu. Und während sie ihm ihre Trauer anvertraut, erkennt sie ihn. Sie möchte ihn daraufhin umarmen und festhalten. Aber der Auferstandene möchte es nicht. Sie soll nicht klammen, nicht im Vergangenen verharren. Durch den Schmerz hindurch, wird sie wachsen und befreit weitergehen. Dazu erhält sie den Auftrag, als erste Auferstehungszeugin, den Jüngern zu sagen, was geschehen ist. Noch der Kirchenvater Augustinus schreibt im 4. Jahrhundert von ihr als Apostolin der Apostel. Bis ins 12. Jahrhundert findet man in der Malerei das gängige Motiv der predigenden Maria von Magdala vor einer Schar verängstigter Jünger. Das lässt erkennen: Maria hat ihren eigenen Weg, ihre Bestimmung gefunden.
Für mich ist die Osterbotschaft vom Sieg des Lebens denkerisch natürlich immer wieder eine Herausforderung. Aber ich möchte nicht ohne diese Melodie des Lebens sein. Ich brauche sie. Sie weitet meinen Horizont. Sie spornt an niemals aufzugeben. Sie ermutigt Dinge zu verändern und vom Leid anderer nicht wegzublicken. Sie ist der Ton, der sich wohltuend auch gegen Gebrüll und Menschenverachtung abhebt. Sie bleibt Geschenk und Anspruch. Sie lässt mich immer wieder staunen über das, was Gott leise fügt. Sie bleibt die wundersame Melodie des Lebens.
Ich wünsche Ihnen gesegnete Ostern
Jacqueline Barraud-Volk